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Glockenläuten



Giannina hat für den Moment ein Fenster aufgemacht. Die Neujahrsluft in der Stadt soll sich vermutlich auch bei uns im Bistro verteilen. Wo ich doch am liebsten diesen leicht angedufteten, unbestimmen Odem nach Tannenduft und Cognac, nach etwas Lavendel und vielleicht einem Hauch von Vanille mag, der sich mit einem Amaretto zu meinem Capuccino vermengt.
Von der kleinen Kapelle klingt ein Läuten herüber. Dünn und schwach nur, wie ein ferner Wind aus dem Nachbarort, wenn ich die Morgenstunde über die Wege gewandert bin. Es wird jemand zu Grabe getragen, und ich überlege, ob ich schauen gehen sollte. Jemand von unseren Leuten womöglich, den ich lange schon aus den Augen verloren habe? Wir haben hier einen zentralen Gesamtfriedhof, auf dem alle Glaubensrichtungen letzten Endes ihre Ruhe finden.
Die neuen und gespendeten Glocken im renovierten Glockenturm der Stadtkirche sind zum Neujahr gerade zur rechten Zeit wieder erklungen, sind doch die Feiertage dem Kalender nach ebenso schnell vergangen, wie manche der Hochzeiten und sonnigen Sonntage vergehen werden, und ihnen nur ein wenig Erinnerung zur Liebe bleiben wird. In diesem Jahr wiederum ist eben nachgeschaut doch einiges mehr drin an Urlaubstagen.
Apropos Glocken, wußten Sie, daß die im Orient erfundenen Glöckchen noch von Kaiser Karl selbst befohlen waren? Dem König Karl in der Lebkuchenstadt Aachen, der mit dem Gebäck zu Weihnachten ein erstes Großreich von Franken und Lothringen zu einem Gesamteuropa des Mittelalters begründete. Überall sollten die damals noch sehr viel kleineren Glocken am Sonntag zum Dienst am Herrn die Gläubigen ermahnen.

Nach den Weltkriegen, alle Herrscher der unseligen Welten waren auferstiegen und wieder heruntergekommen, und fast alle Glocken sang- und klanglos eingeschmolzen im Kanonendonner, bekamen wir in Berlin eine Glocke von den Gläubigen aus Amerika spendiert. Die Freiheitsglocke, die wir jeden Abend im Deutschen Rundfunk um Mitternacht hören können. Feierlich kam sie in den neuen Glockenturm im historischen Rathaus Schöneberg zum Gedenken. (hier zu hören)

Unseren Eltern sollte sie zur Ermahnung sein, den Kindern und Heranwachsenden zum Geleit geläutet werden. Zum körperlichen Klang der Freiheit des Geistes wird jeden Abend der bekannte Satz verlesen, den jeder Minister, der in der Verfassung seines Staates um ein solches Amt bestrebt ist, kennen sollte.:
"Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen."

Seid darum guter Dinge, die ihr mit allem was Freude bereitet, unter freundlichem Himmelsblau, und vor allem, 'Bleibt friedlich.'

Andreas H. Scheibner